Das wird in der Wissenschaft auch kritisch gesehen:
Die Gruppe um Dr. Paula Byrne von der RCSI University in Dublin stößt sich daran, dass in der Diskussion um den Nutzen der Statine meist mit der relativen Risikoreduktion argumentiert wird.
Absolut sei der Vorteil nämlich nur sehr gering.* Byrne und Kollegen fassten deshalb selbst noch einmal 21 randomisierte klinische Studien mit jeweils 1255 bis 20.536 Teilnehmern in Form einer Metaanalyse zusammen. Statine waren darin über durchschnittlich 4,4 Jahre sowohl zur Prävention von Herzinfarkten/Schlaganfällen als auch zur Folgeprävention nach kardiovaskulären Ereignissen eingesetzt worden. Verglichen mit Placebo oder einer nicht näher definierten Standardbehandlung war die Einnahme eines Statins demnach mit einer absoluten Senkung der Gesamtsterblichkeit um 0,8 Prozent (relativ 9 Prozent) sowie einer absoluten Senkung der Risiken für Herzinfarkt um 1,3 Prozent(relativ 29 Prozent) und Schlaganfall um 0,4 Prozent (relativ 14 Prozent) verbunden. *https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/2790055
In einer gesonderten Auswertung korrelierten die Autoren zudem den Einfluss der Therapie auf den LDL-C-Wert mit den verschiedenen Endpunkten – und erhielten ein uneinheitliches Ergebnis. »Eine überzeugende Korrelation zwischen der absoluten Senkung der LDL-C-Spiegel und individuellen klinischen Erkrankungen ließ sich nicht herstellen«, konstatieren sie.
Die relative Risikoreduktion sei zwar »zahlenmäßig beeindruckender« als die absolute, führt Byrne aus. Sich ausschließlich darauf zu beziehen, könnte aber sowohl Ärzte als auch Patienten dazu verleiten, die Vorteile einer Intervention zu überschätzen. Man müsse stets das ganze Bild betrachten, in diesem Fall also das zugrundeliegende kardiovaskuläre Risiko eines Patienten, das man mithilfe von Risikorechnern ermitteln könne.
So habe etwa ein 65-jähriger Raucher mit sowohl hohem Blutdruck als auch Gesamtcholesterol ein geschätztes Risiko von 38 Prozent, innerhalb der nächsten zehn Jahre zu sterben,
eine 45-jährige Nichtraucherin mit nur leicht erhöhtem Blutdruck und Cholesterolspiegel dagegen nur ein Risiko von 1,4 Prozent.
Die in der Studie ermittelte relative Senkung des Sterberisikos mit Statinen um 9 Prozent würde bei dem Mann also eine Senkung von 38 auf 34,6 Prozent bedeuten, bei der Frau aber nur von 1,4 auf 1,3 Prozent, so Byrne.
*https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/2790055
In einer anderen Studie von Taylor et al. verstarben -absolut betrachtet- innerhalb von ein bis sechs Jahren 11 von 1.000 Personen MIT Statintherapie. Und im gleichen Zeitraum OHNE Statintherapie verstarben 13 von 1.000 Personen. Taylor F, Huffman MD, Macedo AF, Moore TH, Burke M, Davey Smith G et al. Statins for the primary prevention of cardiovascular disease. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2013;2013(1):Cd004816
Chou R, Dana T, Blazina I, Daeges M, Jeanne TL. Statins for prevention of cardiovascular disease in adults: Evidence report and systematic review for the US Preventive Services Task Force. Jama 2016;316(19):2008–24.
Der renommierte "Arzneimittelbrief" kommt zu der Einschätzung:
„…Die Zielvorgabe (der EKG/EGA-Leitlinie) „as low as possible“ scheint aber nicht nur für das LDL-Cholesterin, sondern auch für das Evidenzniveau der Leitlinie zu gelten, denn diese ist in vielen formalen Punkten kritikwürdig, sodass sie nach unserer Einschätzung allenfalls als interessengeleitetes Positionspapier einer industrienahen Fachgesellschaft bezeichnet werden kann….“
Kritikpunkt ist vor allem die „handwerklich“ fehlerhafte Durchführung der Leitlinie: Nicht den Vorschriften für die Erstellung einer solchen Leitlinie entsprechende Auswahl und Besetzung mit Experten, kein transparenter Bericht der Erstellung der Leitlinie und fehlende Beweisführung der Nutzen-Risiko-Relation. Außerdem ist anzumerken, dass die neu empfohlenen niedrigen Werte oft nur unter der Behandlung mit neuen, noch teureren Medikamenten (PCSK9-Hemmer) zu erreichen sind.
(Dass der Markt mit Cholesterinsenkern ein Multi-Milliardenmarkt ist, muß hier nicht diskutiert werden.)